Das verzauberte Brünnlein von Margarethe Schmuck |
Es war einmal vor langer Zeit, da lebte ein Elternpaar, mit seinem Töchterchen, am Rande eines Waldes, in einem ganz armseligen Häuschen. Dort, wo sich die Füchse gute Nacht sagen. Zu essen hatten sie meist nur für den halben Magen. Obwohl die Eltern rechtschaffene Leute waren, und der Vater immer auszog, um Arbeit zu suchen, kam er fast immer ohne Geld nach Hause. Sie mußten sich immer nur von dem ernähren, was in Gottes freier Natur wuchs.
Doch da drückte die Eltern noch eine andere Sorge. Ihr Töchterchen hatte eine überaus lange Nase. Sie stieß
überall mit ihr an. Das Mädchen fühlte sich so unglücklich, und die Eltern litten mit ihr. Ihnen fehlte das
Geld, um einen Arzt zu bezahlen, der helfen könnte. Wieder lag das Mädchen in ihrem Bette und weinte leise
vor sich hin. Da hörte es ihre Eltern seufzend beratschlagen, wie sie ihrem Kinde helfen könnten. So
hörte sie, wie der Vater zur Mutter sagte, er erinnerte sich noch an eine weise Frau,die ihm einmal erzählt hätte, daß es ein Brünnlein gäbe, das verzaubert wäre, und wenn man sich darin wasche, alle Gebrechen vergingen.
Aber um es zu finden, müsste man ein Sonntagskind sein. Das Mädchen merkte sich alles genau. Am nächsten Tag fragte es die Eltern, wann es geboren wäre. Die Mutter sagte das Datum und daß es ein Sonntag gewesen war und sie somit ein Sonntagskind wäre. „Warum fragst du?“ „Nur so..“ antwortete das Mädchen, aber es war ganz durcheinander. Es wußte nicht, was es machen sollte. Sie wollte alles tun, damit ihm geholfen werde, aber im Geheimen fürchtete es sich. Es wußte nicht, wo es das Brünnlein suchen sollte.
Wie konnte es überhaupt von zuhause fort, ohne daß die Eltern es bemerkten. Es wollte ihnen keine Sorgen
machen, doch die Geschichte ging ihm trotzdem nicht aus dem Sinn. Denn es wollte unbedingt seine lange Nase verlieren. Ein paar Tage quälte es sich, aber dann entschied es sich, das Brünnlein suchen zu gehen. Es
schrieb den Eltern einen Zettel, sie sollen sich nicht sorgen, es wolle das verzauberte Brünnlein suchen, und
käme erst wieder, wenn es das Brünnlein gefunden hätte.
Das Mädchen schlich sich von zuhause fort. Ein kleines Stückchen Brot nahm es mit. Das Mädchen ging tiefer und tiefer in den Wald hinein. Es war ganz finster und es raunte und rauschte in den Bäumen. Das Mädchen fürchtete sich sehr, aber es ging tapfer weiter. Es dachte immerzu, einmal müßte der Wald doch zu Ende
sein. Als es schon lange unterwegs war, kam es zu einer Lichtung mit einer kleinen Wiese. Es setzte sich in die
Wiese, nahm ein paar Bissen Brot, stärkte sich ein wenig und müde schlief es ein. Als es wieder erwachte, saß ein schwarzer Hund neben ihm und leckte über sein Gesicht. Am Anfang hatte es Angst vor dem Hund. Aber der Hund schaute es so treuherzig an, und so strich es ihm über den Kopf und eine Freundschaft wurde geschlossen. Der Hund wich ihm nicht mehr von der Seite, und das Mädchen ging ein wenig fröhlicher weiter. Es fühlte sich beschützt und nicht mehr ganz verloren. Als sie den Wald hinter sich ließen, tat sich eine weite Ebene vor ihnen auf. Weite, große Wiesen mit bunten Blumen, von Flüssen und Bächen durchtrennt. Das Mädchen dachte, eines von den Gewässern müsste das verzauberte Brünnlein sein.
Ein paarmal versuchte das Mädchen, aus einem der Bächlein zu trinken, doch jedesmal ertönte eine Stimme:
„Trink nicht daraus und wasche auch dein Gesicht nicht, es könnte dir schaden.“ Das Mädchen glaubte der
Stimme und tat, wie ihm geheissen. Sie waren nun schon lange gewandert und hatten nichts mehr zu essen und zu trinken, da setzte sich das Mädchen auf einen Stein und der Hund legte sich ihm zu Füßen. Der Hund und das Mädchen schliefen ein. Tage und Nächte hatten sie das wunderschöne Tag durchwandert, aber von dem verzauberten Brünnlein hatten sie nichts gehört und gesehen. Sie kamen an Häusern vorbei und baten um ein bißchen Essen und Trinken, und manchmal wurde ihnen eine Kleinigkeit gereicht, doch meistens schlugen die Leute die Türen zu. Sie wollten mit den beiden nichts zu tun haben.
Also schliefen sie jede Nacht im Freien und erwachten mit dem ersten Sonnenstrahl. Das Mädchen rieb sich die Augen und dachte: „Wie lange muss ich noch wandern, bis ich das Brünnlein finde und meine Nase los werde, damit sich die Menschen nicht immer von mir abwenden. Ich will arbeiten nur für mich und den Hund, um das Essen zu verdienen.“ Auch an ihre lieben Eltern dachte es oft, und es bedrückte es, weil es wußte, daß es nun schon lange fort war und sie sich sicher sorgten. Auf einmal hörte es ein feines Rauschen und Murmeln. Das Mädchen blickte zu Boden, da sah es mit Staunen ein kleines Bächlein unter dem Stein hervor quellen, das es am Abend nicht bemerkt hatte. Es hörte aus dem Murmeln eine Botschaft: „Wasche dich und trinke daraus.“ Es zog sich aus, badete darinn und trank daraus. Als es sich abtrocknete, berührte es auch das Gesicht, und auf einmal wurde ihm bewußt, daß es die lange Nase nicht mehr fühlte. Es sah ihr Spiegelbild im Bächlein und kannte sich kaum wieder. Ein wunderschönes Mädchen schaute ihr entgegen. Es kniete sich nieder und dankte dem Herrgott für die Gnade. Auch der Hund hatte darin gebadet. Als das Mädchen nun wieder nach dem Bächlein und dem Hund sah, waren beide verschwunden.
Auf einmal stand ein schöner Jüngling vor ihm. Er sagte, er wäre von einem bösen Zauberer in einen Hund
39 verwandelt worden und ihre gemeinsame Suche nach dem Brünnlein hätte ihn erlöst. “In Wahrheit aber bin ich ein Königssohn. Mein Vater regiert ein großes Königreich.“ Der Königssohn legte den Arm um das
Mädchen und fragte es, ob es seine Frau werden wolle, denn er hätte es sehr, sehr lieb gewonnen, und er bat es, ihn zu seinen Eltern zu begleiten. Das Mädchen sagte ja, denn es hatte ihn auch sehr lieb. „Aber was werden deine Eltern sagen, ich bin ja so arm und meine Eltern besitzen nichts.“ Der Prinz aber sagte, es
sei reich an Werten, die kein Gold je aufwiegen könnte. So nahmen sie sich an der Hand, um heim in sein Königreich zu gehen, und wanderten wieder über Berge und Täler. Am dritten Tag, als sie auf einem Berg standen, zeigte der Prinz ins Tal hinunter. Es stand auf einem kleinen Hügel ein wunderschönes Schloss. Ringsherum blühende Wiesen und Gärten. Der Prinz sagte: „Das ist von nun an unser Zuhause.“ Wie freuten sich der König und die Königin, daß sie ihren Sohn wieder hatten und dazu so ein liebes und schönes Schwiegertöchterchen. Das war ein langes Erzählen und Feiern. Auch das Volk war von Herzen froh, daß es seinen Prinzen wieder hatte, und das Mädchen mit ihrem Liebreiz hatte im Nu alle Herzen des Volkes erobert. Was machten die Eltern des Mädchens? Die Sorge um ihre Tochter ließ sie ganz verzweifeln. So saßen sie wieder einmal vor ihrem Häuschen auf der Bank, als sie einen Wagen kommen hörten. Von vier schneeweißen Pferden wurde er gezogen und in der Kutsche saßen zwei junge Menschen, denen das Glück aus den Augen strahlte. Das Mädchen sprang aus dem Wagen zu den Leuten hinab und sprach „Erkennt ihr mich nicht. Ich bin eure Tochter.“. Auch der junge Mann stieg aus der Kutsche, und die Tochter sagte: „Das ist mein Gemahl. Er ist ein Prinz und wir sind gekommen, um euch auf das Schloss zu holen.“ Ihre Eltern kamen aus dem Staunen nicht heraus, weinten vor lauter Erleichterung und freuten sich von Herzen, daß es ihre Tochter so gut getroffen hatte. Im Stillen dankte der Vater der weisen Frau, die ihm vor langer Zeit vom verzauberten Brünnlein erzählt hatte, und dem Mut seiner Tochter, ihr Schicksal selbst in die Hand zu nehmen.
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